Meinung Dreyer statt Debatte: Wie die SPD Mut und Visionen aufgegeben hat

Seit 2013 ist Malu Dreyer Ministerpräsidentin.
Seit 2013 ist Malu Dreyer Ministerpräsidentin.

Die SPD Rheinland-Pfalz hat ihre Wahlerfolge der vergangenen Jahre vor allem der Beliebtheit Kurt Becks und Malu Dreyers zu verdanken. Leider hat die Partei vor lauter Erfolgen das Debattieren aufgegeben.

Wäre die Staatskanzlei in Mainz Drehort eines Westerns, würden verdorrte Sträucher über den Vorhof wehen. Koalitionsstreit über die finanzielle Ausstattung von Kommunen? Fehlanzeige. Diskussionen über das Kita-Gesetz? Nichts. Hörbare Kritik gibt es nur von denen, die es in Germersheim, Frankenthal oder Kirchheimbolanden ausbaden müssen. Und die haben meist kein rotes, grünes oder gelbes Parteibuch in der Tasche. Die SPD als stärkste Kraft im Landtag hat es geschafft, ein Diskussionsvakuum zu kreieren. Läuft ja alles. Also: für die SPD.

Durch das Vermeiden von Debatten hat sich die SPD von visionärem Agieren verabschiedet. Die Basis stimmt ein in den Kanon der Unzufriedenen, aber rebelliert nicht. Wieso eigentlich nicht, wo sich doch viele weniger Technokratie und mehr Tatendrang wünschen? Ist ihnen Machterhalt wichtiger als Meinungsaustausch? Es wäre fatal. Für Land und Partei. Denn politischer Streit hilft, Dinge zu schärfen, Perspektiven zu erkennen, Zukunft zu gestalten. Auch erfolgsverwöhnte Sozialdemokraten dürften sich selbst Diskussionen und Bürgern mutige Politik zumuten.

Die SPD-Taktik: Bloß nicht zu viel Politik

Die SPD ist seit 33 Jahren in Verantwortung in Mainz. Gegenwind gibt es nicht, schon gar nicht in der Koalition. Die Partei könnte die Landespolitik in langen Linien nach ihren Vorstellungen gestalten, versuchen, die Zukunft statt nur Wahlen zu gewinnen. Doch während die CDU immerhin langsam in Gang kommt, Personal- und Inhaltsklärung vorbereitet, verharrt die SPD in selbstgefälliger Zufriedenheit. Bloß nicht zu viel Politik, bloß nicht zu viel Auseinandersetzung mit Grundsätzlichem. Am Ende wird es Malu Dreyer schon wieder in die Staatskanzlei schaffen – und viele Parteigenossen in den Landtag bringen. Wer würde das schon durch lauten Widerspruch gefährden wollen?

Nun gehört es zu den parteipolitischen Königsdisziplinen, Interna intern zu belassen. Nur ist auch in der realpolitischen Umsetzung der SPD wenig von im Vorfeld mutig geführten Debatten oder Kontroversen zu spüren. Die Demontage des von der Führungsriege für das EU-Parlament vorgeschlagenen Daniel Stich durch die Basis war das Kontroverseste, was es in den vergangenen Monaten wahrnehmbar an innerparteilichen Auseinandersetzungen gegeben hat.

Das Programm hat einen Namen: Malu Dreyer

Das Programm der SPD heißt Malu Dreyer. Doch was, wenn die gar nicht mehr antritt? Was, wenn Wähler wissen möchten, wie moderne Sozialpolitik à la SPD konkret aussieht? Was, wenn die CDU nach der Nominierung eines Spitzenkandidaten ihre scharfen Zähne findet?

Die lange Regierungszeit der SPD in Rheinland-Pfalz hat viel mit den Namen Kurt Beck und Malu Dreyer zu tun. Beide hatten jeweils maßgeblichen Anteil an den Erfolgen ihrer Partei, viele Wähler votierten eher fürs Spitzenpersonal als für Parteien. Der Unterschied zwischen der Beck- und der Dreyer-Zeit: Kurt Beck hat bei allen Skandalen und Skandälchen seine persönlichen Zustimmungswerte genutzt, um zutiefst sozialdemokratische Zukunftsprojekte voranzutreiben. Bei Malu Dreyer hingegen blieb die Person stets wichtiger als das Programm.

Mehr Auseinandersetzung mit Grundsätzlichem

Stellt die SPD die amtierende Ministerpräsidentin noch einmal als Spitzenkandidatin auf, wird die Partei das wahrscheinlich spät offiziell machen. Denn dann, so das Kalkül, reicht’s weiterhin auch ohne Programm und Visionen zum Erfolg. Da das auch vielen Genossen klar ist, halten sie still.

Brauchen die Sozialdemokraten ein neues Aushängeschild mit Rückhalt in der Partei, geht’s wohl schneller mit der Verkündung. Dann nämlich muss die SPD zwangsläufig wagen, was ihr lange erspart geblieben ist: die Auseinandersetzung mit Grundsätzlichem. Dem Land jedenfalls wäre eine mit sich und anderen debattierende SPD zu wünschen – ob mit oder ohne Malu Dreyer.

Yannick Dillinger ist Chefredakteur der RHEINPFALZ.
Yannick Dillinger ist Chefredakteur der RHEINPFALZ.
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